2007/2008 Vorbericht: 1. FC Gera 03 - FC Carl Zeiss Jena
Saison 2007/2008
DFB-Pokal - Vorbericht - 1. Runde
Kleiner Rückblick zur Einstimmung aufs Pokalspiel in Gera
Den für mich bis heute nachhaltigsten Eindruck im Geraer „Stadion der Freundschaft“ hinterließ bei mir ein Spiel des FC Carl Zeiss im IFC-Cup des Jahres 1988. Damals spielte Jena als Tabellensechster der Vorsaison in diesem heute UI-Cup genannten Wettbewerb, dessen ursprünglicher Name „Intertoto-Cup“ erkennen ließ, dass er vor allem geschaffen wurde, damit zur Sommerpausenzeit in den Wettbüros zumindest die Kopeke rollt. Penunzen gab es auch für die beteiligten Mannschaften zu gewinnen, allerdings keine Rubel sondern Schweizer Fränkli. Gerüchten nach erhielt ein Gruppengewinner 40 000 SF, der Zweite wohl die knappe Hälfte. Ab Platz drei gabs `ne Stange Toblerone und `nen Wimpel für die Schrankwand.
An letzteren herrschte im siegesverwöhnten DDR-Fußball kein Mangel, an Devisen hingegen schon. Dieser Umstand sollte sich als motivierend für die hiesigen Fußballfunktionäre erweisen, die eigenen Mannschaften möglichst gut platziert zu sehen. Dabei kam dem DFV zu Pass, dass die Schiedsrichter in diesen Partien aus Kostengründen immer durch das Gastgeberland gestellt wurden. Nun dürfte jeder, der sich eingehender mit dem DDR-Fußball beschäftigt, wissen, dass man es als DFV-Schiedsrichter in den 80er Jahren nur zu etwas bringen konnte, wenn man alle Oberligamannschaften gleich behandelte, besonders den BFC: Nur jene Schiris, die die Spiele von Mielkes Lieblingstruppe am gleichsten pfiffen, durften sich Hoffnungen machen, auch für internationale Aufgaben vorgesehen zu werden.
Genau solch eine Pfeifen-Kapazität war für das letzte Jenaer Gruppenspiel abgestellt wurden, was in Gera gegen die Mannschaft vom FC RAD Belgrad stattfand. Es ging um nichts Geringeres als den Gesamtsieg in einer Vierergruppe, wobei die Konstellation vor dem Spiel so war, dass Jena als Letztem nur ein Punkt von den Jugos als Erstem trennte. Da die andere Gruppenpartie zwischen Aarhus GF und dem FC Tirol bereits absolviert war, stand fest, dass der FCC selbst bei einem Unentschieden bestenfalls Gruppendritter werden konnte, während die Mannschaft aus der jugoslawischen Hauptstadt wegen ihres exzellenten Torverhältnisses schon bei einem Remis Gesamtsieger werden würde. Hieße der Gewinner der letzten Partie jedoch Jena, würde der FCC vom letzten auf den ersten Platz rutschen.
Daraus bezog das Match seine Spannung, wobei man mit fortlaufender Dauer sagen musste, nur daraus, denn das Spiel erwies sich als idealtypisches Treffen zwischen zwei Mannschaften, von denen die eine nicht kann und die andere nicht will. Jenas Offensivbemühungen waren redlich, aber nicht mal im Ansatz zwingend, und die Jugos, beim glatten 4:0-Hinspielsieg noch ihre Klasse beweisend, beschränken sich auf das Halten jenes Null zu Nulls, dass Ihnen den Gruppensieg garantierte.
Das sollte sich aus Belgrader Sicht rächen, denn je näher das Spielende rückte, umso mehr machte der schwarze Mann mit der Pfeife klar, dass er die Rolle eines Unparteiischen recht liberal zu interpretieren wusste: Abseits gab es nur noch in der Jenaer Hälfte, absichtliches Ballwegnehmen durch die Belgrader wurde konsequent mit Jenaer Freistößen geahndet und bei der Beurteilung des Zweikampfverhaltens hätten sich die Weicheier aus Old England mal anschauen können, was internationale Härte bedeutet. Es erschien selbst eingefleischten Zeissfans peinlich, was stellenweise gepfiffen wurde. Doch es war ja für einen guten Zweck und deshalb ließ es sich im Zeissblock auch befreit jubeln, als kurz vor dem Schluss doch noch das erlösende 1:0 für Jena fiel.
Wie das Tor fiel, kann ich nicht mehr sagen. Bis ich Jahre später zur Sicherheit noch mal einen Blick in eine alte „Volkswacht“ warf, hätte ich nicht mal ausschließen wollen, dass der Siegtreffer durch einen Hüftwurf oder ein Dunking zustande kam. Das einzige, was mir präsent blieb von diesem Match, das waren die Szenen danach, denn unmittelbar nach dem 1:0 war Schluss. Jena war Erster und fasste die Kohle ab. Die Jugos waren die Loser und bekamen die Goldene Ananas. Auf Südfrüchte waren die Belgrader aber offenbar nicht scharf. Scharf waren sie hingegen, dem Schiri ihre Meinung kund zu tun, was sie von seiner Spielleitung hielten. Das hätte ich an ihrer Stelle auch getan, nur die Mittel und Wege erschienen mir dann etwas unorthodox. Während des Spiels hatten die Jugos noch geflucht und gezetert. Jetzt rasteten sie aus: Der Abpfiff halte noch über den Platz, schon stürmte ein Belgrader auf den Schiri zu. Kurzer Anlauf, dynamischer Sprung in die Höhe, das Bein voll durchgezogen, den Fuß in Richtung Weichteile zielend. Treffer. Der Schiri plumpste um, ohne vorher auch nur die Andeutung einer Gegenreaktion gemacht zu haben.
Das alles spielte sich ab direkt vor unseren Augen, in einer Entfernung von vielleicht 20 Metern. Obwohl es innerhalb von Sekundenbruchteilen ablief, hatte ich das Gefühl, der Szene in Zeitlupe beizuwohnen. „Das gibt´s doch nicht“, war mein Gedanke, und obwohl ich ein Idealist bin durch und durch, einer, der von einer besseren Welt träumt, die frei ist von Menschheitsgeißeln wie Krieg, AIDS oder Rot-Weiß Erfurt, so war mir in dem Augenblick klar, dass ich meinen festen Glaube an das Gute im Menschen mal `ne kurze Pause machen lasse, denn bei dem, was sich gerade vor mir abspielte, war es nicht weit zu dem Entschluss: „So nicht, liebe Freunde vom Balkan! JETZT GIBT´S WAS AUF DIE FRESSE!“
Und so dachte nicht nur ich, denn als sich die Belgrader auch noch anschickten, mit südländischer Lebensfreude unsere Spieler anzugehen, stürmten mit mir etliche andere Zeissfans zum Zaun, nur diesmal nicht, um eine dieser wunderbar theatralischen Drohgebärden zu zelebrieren sondern um die Machtverhältnisse auf dem Fußballfeld wieder gerade zu rücken. Es waren vielleicht drei oder vier Dutzend, die wie ich in den Innenraum stürmten, doch mit einer eben so spontanen wie wilden Entschlossenheit, dass die Jugos schlagartig die Beine in die Hand nahmen und zu ihrer Kabine rannten, hinter sich den brüllenden blaugelbweißen Mob.
Es flog meines Wissens keine einzige Faust und doch war es ein berauschendes Siegesgefühl. Wir hatten sie vertrieben. Das Schlachtfeld war unser. Kein Bullizist war zu sehen, der es auch nur gewagt hätte, sich in den Weg zu stellen. Allenfalls ein paar Fußballfunktionäre kamen uns von der anderen Seite des Platzes entgegen, mit verdatterten Blicken, wie ein paar Kleingärtner, bei denen gerade ein T 34 zwischen Rosenbeeten und Hollywoodschaukel geparkt hat. Die Bonzen wedelten aufgeregt mit den Armen: „Wir sollten doch bitte in unseren Block zurück gehen! Bitte, bitte!“ Und wir gingen mit stolzem Schritt, sonnten uns im Ruhm der guten Tat und ließen sogar die an unserem Triumph teilhaben, die es nicht bis aufs Schlachtfeld geschafft hatten, wie etwa Samson vom Fanclub Lobdeburg, dem das Übersteigen des Zaunes zu profan erschien, um in den Innenraum zu gelangen und der stattdessen versucht hatte, sich zwischen den Werbebanden und den Absperrseilen hindurch zu zwängen, was sich jedoch nicht als Königsweg erweisen sollte für jemanden, der ein bisschen aussieht wie der dickere Bruder von Obelix. Zum Glück konnte Samson aber ohne Einsatz schwerer Technik geborgen werden und so wurde es dann auch für ihn ein Fußballnachmittag, von dem wir noch Jahre später erzählten.
--Al Knutone 2:32, 4. Aug 2007 (CEST)