1977/1978 EC III 6. Spiel: Standard Lüttich - FC Carl Zeiss Jena 1:2
Spieldaten | |
Wettbewerb | EC III, Achtelfinale Rückspiel |
Saison | Saison 1977/1978 |
Ansetzung | Standard Lüttich - FC Carl Zeiss Jena |
Ort | Stade Sclessin |
Zeit | Mi. 07.12.1977 20:00 |
Zuschauer | 37.000 |
Schiedsrichter | John Carpenter (Irland) |
Ergebnis | 1:2 (0:1) |
Tore | |
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Aufstellungen
- Lüttich
- Michel Preudhomme
- Philippe Garot
- Eric Gerets, Theo Poel, Mathy Billen
- André Gorez (58. Josip Keckes), Christian Labarbe, Asgeir Sigurvinsson, Helmut Graf
- Harald Nickel, Alfred Riedl
Trainer: Robert Waseige
- Jena
- Detlef Zimmer
- Ulrich Oevermann
- Gert Brauer, Konrad Weise, Dieter Noack
- Rüdiger Schnuphase, Lothar Kurbjuweit, Lutz Lindemann, Dietmar Sengewald
- Thomas Töpfer, Eberhard Vogel
Trainer: Hans Meyer
Spielbericht
Nervenstärke und taktische Disziplin
Als RWD Molenbeek in der zweiten Runde gegen den FC Carl Zeiss ausgelost wurde, fragte die Zeitschrift "Le Soir": "Wer ist Jena?" Spätestens seit dem vergangenen Mittwochabend dürfte es jeder in Belgien wissen! "Nach RWD blieb nun auch Standard gegen den DDR-Vertreter auf der Strecke. Und was am meisten verblüffte, in den vier Spielen gelang ihnen kein Sieg", urteilte "Les Sports". Das Blatt "Derniere Heure" aber schrieb am Donnerstag: "Selbst im gefürchteten Sclessin ließ sich der FC Carl Zeiss nicht schrecken." "Die Mannschaft imponierte durch Nervenstärke, großartige taktische Disziplin und mit energischem Konterspiel", resümierte DDR-Botschafter Heinz Hoffmann.
In der Tat verdienten sich die Thüringer, die mit dem sechsfachen Meister und derzeitigen heißen Titelaspiranten Standard innerhalb von knapp zwei Monaten den zweiten belgischen Spitzenklub eliminierten, Respekt und Anerkennung. Imponierend vor allem, daß die junge Elf in diesem brodelnden Hexenkessel an der Maas, in dem sich die 40000 schon Stunden zuvor mit nahezu unvorstellbarer Lautstärke einstimmten, "jederzeit kaltes Blut bewahrte, keine Sekunde in der Konzentration nachließ und ihre spielerische und taktische Marschroute unbeeindruckt einhielt", freute sich Cheftrainer Bernd Stange. Selbst als es nach der Pause zahlreiche Flaschenwürfe aufs Feld gab, Ausdruck der grenzenlosen Enttäuschung unter den Fans, gar ein Spielabbruch drohte, steckten die Jenaer diese Aufregungen ungerührt weg und gingen zur Tagesordnung (lies: Sieg) über!
Und die sah wie folgt aus: Konsequente und hautnahe Manndeckung gegen die Angriffsspitzen Riedl (Brauer), Nickel (Weise) und Gorez (Noack); die Räume in der eigenen Hälfte soweit wie möglich verengen; unermüdliches und frühzeitiges Stören im Mittelfeld (Kurbjuweit, Schnuphase, Sengewald), und bei Ballbesitz schnelles Umschalten und Kontern. Und zwar unter Einbeziehung aller Abwehrspieler! Diese Vorhaben setzten die Zeiss-Städter, die sich durch mannschaftliche Geschlossenheit, durch unerhörte Einsatzbereitschaft, durch Zähigkeit, Unerschrockenheit, aber auch durch spieltaktisches Geschick auszeichneten, mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit um. "Wir waren fest davon überzeugt, daß wir das 0:2 von Jena noch revidieren können. Wir scheiterten jedoch an der Abwehrstärke und an der Moral des Gegners, der außerdem hervorragende Konterqualitäten besaß. Ich gratuliere der Elf zum Einzug in das Viertelfinale. Sie hat ihn sich hier verdient."
Die Anerkennung von Standard-Trainer Robert Wasseige kann jeder Zeiss-Akteur auf sich beziehen. Auch die Jüngsten bewiesen, daß sie in solch bedeutungsvollen Spielen durchaus Aktivposten darstellen können. Der 21jährige Noack zum Beispiel spielte ausgefuchst und frech wie ein Routinier. In Jena wurde sein Gegenspieler Visney zur Pause ausgewechselt, diesmal hielt sich Gorez gegen ihn bis zur 58. Minute. Und wie der Blondschopf stürmte! Vier Mann ließ er bei seinem Solo stehen (36.). "Ich war zu weit vorn, erwischte deshalb seine Eingabe nicht richtig mit dem Kopf", ärgerte sich Rüdiger Schnuphase, der mit einem mächtigen 16-Meter-Schuß später die Latte traf (72.).
Thomas Töpfer aber, der 19jährige am rechten Flügel, "bestritt wohl überhaupt sein bestes Cup- und Auswärtsspiel", lobte Helmut Stein. Sein Solo (57.) konnte Garot nur auf Kosten von "Gelb" stoppen, das nächste gegen drei Gegenspieler (!) führte zum Strafstoß. "Als der Ball im Netz zappelte, war mir doch wohl ums Herz", meinte Konrad Weise, wohl bester Akteur auf dem Platz. Der Kapitän hielt nicht nur die Deckung zusammen und schirmte Nickel völlig ab, er gab ebenso wie Oevermann, wie Lindemann, der in vorgeschobener Position agierte, viele Impulse nach vorn. Sein energischer Angriff auf der linken Seite führte zum Führungstor, "das uns endgültig aus der Bahn warf", bekannte Alfred Riedl. "Als mich der Konrad anspielte, spitzelte ich Garot den Ball durch die Beineund war frei. Mein Flachschuß paßte genau in die rechte Ecke", strahlte Dietmar Sengewald. Der 24jährige verdiente sich das Tor mit einer bemerkenswerten Leistung. Er nutzte die Räume und besaß den energischsten Zug zum Tor.
Detlef Zimmer imponierte durch Reaktionsschnelligkeit und Fangsicherheit gegen Schüsse von Sigurvinsson (49.) und Riedl (63.). Er behielt auch im stärksten Getümmel Nerven und Übersicht. Sein zu langes Ballhalten, das mit indirektem Freistoß geahndet wurde, der nach Vorlage von Sigurvinsson durch Nickel zum Kopfballtreffer führte, geht allerdings zu Lasten fehlender Erfahrungswerte. Der 24jährige bestritt nämlich erst sein viertes Europacupspiel.
Hans Meyer aber registrierte befriedigt "die erneute Steigerung der Mannschaft. Ich glaube, sie hat sich in ihrem 52. Cupspiel den Eintritt ins Viertelfinale, es ist unser drittes übrigens, redlich verdient", strahlte der 35jährige, der den Platzverweis von Vogel als "unfaßbar und schwerwiegend" bezeichnete. Selbst UEFA-Beobachter Thomas Wraag - zeigte sich von der Jenaer "Klasseleistung" beeindruckt - ging mit der Entscheidung von Referee Carpenter, der dem Routinier für Sperren erst die gelbe, dann die rote Karte zeigte, nicht konform. "Ich werde bei der UEFA nur einen Spieltag Sperre beantragen", meinte der Engländer. Die Jenaer müssen nun der Entscheidung der UEFA harren.
(Klaus Thiemann in "Die Neue Fußballwoche" vom 13. Dezember 1977)