1983/1984 02. Spieltag: 1. FC Union Berlin - FC Carl Zeiss Jena 3:3
Spieldaten | |
Wettbewerb | DDR-Oberliga, 2. Spieltag |
Saison | Saison 1983/1984, Hinrunde |
Ansetzung | 1. FC Union Berlin - FC Carl Zeiss Jena |
Ort | Stadion "Alte Försterei" in Berlin |
Zeit | Sa. 20.08.1983 15:00 Uhr |
Zuschauer | 12.000 |
Schiedsrichter | Manfred Bahrs (Leipzig) |
Ergebnis | 3:3 |
Tore |
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Aufstellungen
- Berlin
- Wolfgang Gehrke
- Lutz Hendel
- Holger Sattler (85. Heiner Thomas), Olaf Seier, Peter Wirth
- Lutz Möckel, Bernd Quade, Henry Treppschuh
- Lutz Hovest, Olaf Reinhold (67. Peter Riedtke), Uwe Borchardt
Trainer: Harry Nippert
- Jena
- Hans-Ulrich Grapenthin
- Rüdiger Schnuphase
- Gerhardt Hoppe, Konrad Weise, Gert Brauer
- Stefan Meixner (75. Robby Zimmermann), Heiko Peschke (46. Thomas Töpfer), Thomas Ludwig
- Andreas Bielau, Jürgen Raab, Jörg Burow
Trainer: Hans Meyer
Spielbericht
Routiniers mit weichen Knien
In der Abwehr der Jenaer agieren wirklich gestandene Männer. Torsteher Grapenthin wird am 2. September 40 Jahre alt, Weise, Schnuphase, Hoppe und Brauer - sie alle sind schon "um die 30" und haben sich manchen Fußballwind um die Nase wehen lassen. Nun aber scheinen selbst sie etwas verunsichert. Durch den mißglückten Start auf eigenem Platz haben sie offenbar weiche Knie bekommen. Ihre Unsicherheit wurde auch an der "Alten Försterei" sichtbar. Zuerst schnappte eine Abseitsfalle nicht zu, und Reinhold stand völlig frei, dann wurde Hoppe von Hovest nach Belieben passiert, und das 2:0 nach nicht einmal 20 Minuten war fertig, weil Quade unbedrängt am langen Pfosten einköpfen konnte. "Wir begannen das Spiel wieder einmal mit einer Torvorgabe für den Kontrahenten", nahm es Jenas trainer Meyer gewohnt sarkastisch.
Aber vor allem wird er sich Gedanken machen müssen, wie diese Art Fußball zu spielen möglichst schnell abgestellt wird. Union imponierte in dieser ersten halben Stunde mit allen Tugenden, die man dieser Mannschaft nachsagt. Bissig in den Zweikämpfen (Wirth, Sattler), im raschen Erfassen der Situation (Möckel, Quade) und pfiffig in den Abschlußhandlungen (Borchardt, auch Hovest). DFV-Cheftrainer Dr. Dieter Fuchs aber ahnte die Misere offenbar schon in dieser guten Phase der Unioner. "Aufwand und Nutzen stehen in keinem rechten Verhältnis", analysierte er nüchtern auf der Tribüne, und obwohl der Gastgeber ungeschoren zum Pausentee kam, danach geschah, was viele schon eher erwartet hatten - Jena drehte auf.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Der 1. FC Union trug dazu ein schönes Scherflein mit bei. Er zog sich komplett in die eigene Hälfte zurück, zu weit, um von dort aus Konter zu starten. Sie verpufften zumeist schon im Mittelfeld. Schnuphase spürte die veränderte Situation sofort, überließ anderen die Deckung und orientierte sich voll auf die Unterstützung des Angriffs. Mit Erfolg wie bald festzustellen war. Er selbst machte den Anfang, später wurde das Durcheinander in der Abwehr der Unioner derart stark (Gehrke, Wirth), daß weitere Gegentreffer einfach nicht ausbleiben konnten.
Es spricht für die Willensqualitäten der Unioner, daß sie zu einem Zeitpunkt noch mal anruckten, als alles schon damit rechnete, daß die Wuhlheider den Platz erneut als Verlierer verlassen würden. Quade nutzte jedoch eine Unsicherheit in der Jenaer Abwehr zum verdienten Ausgleichstreffer. Eine Partie, nach der beide Trainer vor allem Kritik zu verteilen hatten; den Zuschauern aber gefiel sie: immerhin fielen sechs Treffer!
(Rainer Nachtigall in "Die Neue Fussballwoche" vom 23. August 1983)
Jun.-OL 1:0 - Tor : Unglaube
Jena : Pfeiffer , T. Gobel , Szepanski , Röser , Menzel , Kunzmann , Fietkau , U. Gobel , Steinbach , Strogies , Barcal ( 65.Seiler)
Video
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„Wird eng mit der Meisterschaft!“, war mein erster Gedanke, als Jena der Start in die Saison 1983/84 völlig missriet. Auftaktpleite gegen die Kolchosniks von der Börde, da musste ich schon eine Weile nachrechnen, wann der FCC trotzdem Tabellenführer sein würde. Nachdem ich mir im Ostseeurlaub zuvor den Ar$ch braun brennen ließ, beschloss ich, dem ersten Saisonsieg von Sprotte, Schnuppi, Conny Weise und Co. persönlich bei zu wohnen. Es ging nach Berlin; nicht zu Mielkes weinrotem Maskottchen sondern zum kleinen, ungeliebten Stiefbruder Union. Sportlich nicht das schwerste Los, aber für Auswärtsfahrer jeden Vereins eher eine Mischung aus Iron Man auf ´nem Dreirad und Survivalcamp, denn in der Oberliga konnte man Anfang der 80-er Jahre die Gegner aus Fansicht in drei Töppe teilen: Bei Stahl Riesa, Karl-Chemnitz-Stadt oder Aue ließ sich selbst als Stift einer auf dicke Hose machen und mit breiter Hühnerbrust durch Gegners Stadt und Stadion promenieren. Bei Lok, Magdeburch, Dräsdnn und sogar beim BFC hatte man gute Überlebenschancen, wenn man vorm Stadiontor die Fresse hielt und den Schal unter der Kutte trug. In der Gästekurve herrschte hingegen ein zivilisatorischer Mindeststandard, der es einem erlaubte, die eigenen Farben zu zeigen und den Mund auf zu machen. Ausnahmen davon bestätigten die Regel.
Und dann gabs noch die Ausnahme als Regel. Topp 3: Chemie Leipzig und Union Berlin. In Leutzsch half es nicht, den Schal zu verstecken oder gleich zu Hause zu lassen. Da war prinzipiell jeder verdächtig, der keine fettigen Haare und alle Zähne im Mund hatte. „Bumms!“, hatte man eine gefangen, ohne zu wissen, warum. Union das Gleiche: „1 Stift allein mit Jena-Schal?“, „Na dann mal druff zu fünft!“ Der innere Normenkatalog der Johner unverändert seit der Jungsteinzeit. Fairness? Anstand? „Ach Nöööö?!“
Bei diesen Schlagetods wollte ich nun zu Gast sein. Alles, was an Blau-Gelb-Weiß erinnerte oder vielleicht nur danach roch, bei Oma im Havelländischen gelassen, rinn in den Sputnik, umsteigen in die S-Bahn. Der erste Schock am Ostkreuz: Die Türen öffnen sich. Musik erklingt. Nicht Beethovens 9., aber ein Klassiker: „Hee, FC Carl Zeiss, olé, olé FC Carl Zeiss!“. Heute mal lallend interpretiert, dargeboten von einem Zwei-Mann-Chor der Schmerzbefreiten und Beknackten, taumelnd von der einen Seite des Bahnsteigs zur anderen, vollkommen hacke, den Tod verlachend. Drum herum die Johner, eher amüsiert denn provoziert. Keiner greift an, keiner macht was. Ich bin baff, aber klar genug im Kopf, zu erkennen, dass mir mindestens ´ne halbe Flasche Klarer und 10 Bier fehlen, um bei den Zweien mitsingen zu dürfen, zumindest so lange, bis die Johner doch Bock auf andere Mucke haben und dem Chor das Licht ausknipsen.
So schwimm ich lieber unerkannt mit im rot-weißen Strom, der mich in die Alte Försterei trägt. Erster Blick von der Gegengerade ins Rund. Wohin nun? Linker Hand tut sich was: 10, vielleicht 15 FCC-Fans sammeln sich hinterm Tor, wahnwitzig ihre Schals in die Höhe reckend und versuchend, sich akustisch Gehör zu verschaffen. Erstaunen neben mir: „Die Sachsen sind ja och da!“ Die „Sachsen“ waren dem völkerkundlich geschulten Berliner das, was den Römern die Barbaren waren: Ungehobelte Stämme jenseits des südlich von Wittenberg und der Lausitz verlaufenden Sprachäquators, die sich stur der hauptstädtischen Hochkultur verweigerten, trotz aller Zivilisierungsversuche. Wie zum Beweis dessen schwappte alsbald in mehreren Wellen ein rot-weißer Tsunami über Jenas kleinen Fanblock.
Ich sparte mir die Mühe, nach Überlebenen Ausschau zu halten und setzte mich still mittens auf die Gegengerade. Ein Fehler, denn die Stille, die ich suchte, fand ich nicht. Stattdessen einen Nachbarn, ich nenne ihn mal Quatschfred, dem der liebe Gott aufgetragen hatte, jedermann ungefragt seine Weltsicht im Allgemeinen und zum Fußball im Speziellen kund zu tun, garniert mit Jeschichten über Tanta Erna und die sonstige Sippschaft, die man schon immer mal nicht hören wollte. Zu erzählen gab es einiges, besonders als Union nach 3 Minuten in Führung ging. Quatschfred uffjerecht wie´n Vorschulkind zur Weihnachtszeit, jeden Berliner Angriff enthusiastisch mit „Zeigts die Sachsen!“ kommentierend. Ich litt. Jena spielte Grotte, richtig Grotte und ich konnte Schnuppi und Co. nicht nach vorne schreien, nicht mal fluchen oder die Wut raus lassen. Mein stilles Leiden entging nicht Quatschfred. Zwar verzichtete er, mir als Belohnung für Unions 2:0 nach knapp 20 Minuten einen verdienten Zungenkuss zu geben, doch setzte es Tadel ob meiner Lethargie und Wortkargheit: „Mönsch, freu dir doch ma! Da kannste doch gleich rüba jehen bei die Sachsens!“ Und weiter gings mit seinem Zinnober . . .
Es war der Moment, wo ich kurz vorm Outing als Blau-Gelb-Weißer stand. Mochten die Umstehenden hernach mit dem Finger auf mich zeigen, mich den Löwen vorwerfen oder hinterrücks erdolchen; alles schien mir ein würdevolleres Ende, als wenn auf meinem Grabstein stünde: "Am 2. Spieltag tot jequatscht."
Noch hatte ich Atem in mir und Kraft genug, mich zur Halbzeit hinter die Gerade des Tores zu schleppen, auf das Jena nunmehr spielte. Um mich herum auf einmal viele bekannte Gesichter. Zeissfans, komischerweise durch die Bank weg vom Reinlichkeitsfimmel befallen, steckten doch die gewohnten Schals und Schärpen an dem Tag wohl alle in der Wäsche. Egal, endlich Leidensgenossen um mich, auch wenn sich keiner inmitten der Johner wirklich zu supporten traute. Aber den Torschrei ließen wir uns nicht verbieten. Nicht bei Jenas Anschluss, erst Recht nicht, als Burow einen Freistoß wunderbar ins kurze Eck zirkelte. Und als sich die Johner 7 Minuten vor Ende selbst den Ball zur Jenaer Führung ins Nest legten, da war ich drauf und dran, laut schreiend rüber zu flitzen zu meinem alten Platz, um Quatschfred zu zeigen, wie Freude und Genugtuung aussehen können.
Doch der Fußballgott ließ an diesem Tag keinen Raum für Schadenfreude. 90. Minute, das Spiel bereits gedanklich abgehakt, irgendeine Schei$$verlegenheitsflanke aus der Johner Hälfte segelt in Jenas Strafraum. Alle gucken irgendwie zu, bis auf einen Berliner, der den Ball in die Maschen haut. Aus. Ende. Abgang als gefühlter Verlierer. Stilles Leiden.
Es sollte noch drei Jahre dauern, bis ich Jena zum ersten Mal an der Alten Försterei siegen sah, wieder an einem 2. Spieltag. Zu jener grauen Oberligazeit Mitte der 80-er Jahre trat der FCC schon nicht mehr als Favorit in Berlin an. Auch an diesem Sonntag werden wir Außenseiter gegen Union sein, selbst zu Hause. Umso schöner wäre es trotzdem, die Freude über einen Sieg hinaus schreien zu können.