1983/1984 FDGB-Pokal Halbfinale: SG Dynamo Dresden - FC Carl Zeiss Jena 3:0
Spieldaten | |
Wettbewerb | FDGB-Pokal, Halbfinale |
Saison | Saison 1983/1984 |
Ansetzung | SG Dynamo Dresden - FC Carl Zeiss Jena |
Ort | Dynamo-Stadion in Dresden |
Zeit | Sa. 28.04.1983 15:00 Uhr |
Zuschauer | 34.000 |
Schiedsrichter | Klaus Scheurell (Wusterhausen) |
Ergebnis | 3:0 |
Tore |
|
Andere Spiele oder Berichte |
Aufstellungen
- Dresden
- Bernd Jakubowski
- Hans-Jürgen Dörner
- Andreas Trautmann, Udo Schmuck (46. Andreas Schmidt), Frank Schuster
- Reinhard Häfner, Hans-Uwe Pilz, Jörg Stübner
- Ulf Kirsten (75. Hartmut Schade), Ralf Minge, Matthias Döschner
Trainer: Klaus Sammer
- Jena
- Hans-Ulrich Grapenthin
- Rüdiger Schnuphase (46. Stefan Meixner)
- Gert Brauer, Konrad Weise, Uwe Pohl
- Heiko Peschke, Jürgen Raab, Thomas Ludwig
- Andreas Bielau (23. Martin Trocha), Jörg Burow, Robby Zimmermann
Trainer: Dietmar Pfeifer
Spielbericht
Alle neune und noch weit mehr
Jena erlebte eine bittere Stunde in Dresden . Nur eine Halbzeit brauchte Dynamo um mit Tempo das Spiel zu entscheiden . Erst danach straffte sich Jena und nahm am Spiel teil . Jena wehrte sich tapfer und es gab auch einige Konterversuche , aber dieser Schwung Dresdens ließ Jena selten zur Entfaltung kommen . Zudem fielen Bielau und Schnuphase früh wegen Verletzung aus . Jena mit zu vielen Fehlpässen , machte es Dynamo zu leicht . In der 2.HZ drosselte Dresden das Tempo und Jena entkam dem Debakel . Jena nun besser , ohne allerdings Dresden zu gefährden .
Frei aus dem Bericht von Horst Friedemann in der FUWO vom 2.5.84
Pokal Junioren : Sachsenring Zwickau : FC Carl Zeiss Jena 1:3 - Tore : Wolf / Steinbach , Böger 2
Pokal Jugend : Mikroelektronik Erfurt : FC Carl Zeiss Jena 1:3 - Tore : Döllner (F) / Junker , Fastnacht 2
Rückblick
Die Zeilen wurden vor dem Gastspiel in Dresden in der Saison 2009/10 geschrieben:
Es war eine Fahrt ins Ungewisse. Gut 1000 Zeiss-Fans hielt das trotzdem nicht ab, den Sonderzug nach Dresden zu nehmen und zum Spiel der letzten Chance zu fahren. Man schrieb Samstag, den 28. April 1984, den Termin des FDGB-Pokalhalbfinales zwischen der gastgebenden SG Dynamo und dem FC Carl Zeiss Jena. Die Rollen waren klar verteilt, denn Jena spielte die schlimmste Saison seit Zeissfan Gedenken und hatte im Herbst einen beispiellosen Absturz erlebt, als der Meisterschaftsdritte des Vorjahres nach 10 sieglosen Spielen bis auf den letzten Tabellenplatz durchgereicht wurde.
Nur eine Hoffnung blieb den Zeissfans: Der Pokal. Und diese Hoffnung hatte einen guten Grund, siegte der FCC im Viertelfinale trotz zwischenzeitlichem Rückstand doch mit 3:2 genau bei jenem Vizemeister in Frankfurt/Oder, wo man 14 Tage zuvor bei einem 0:3 nochmal richtig fett rote Farbe auf die Laterne gestrichen bekam. Warum sollte Gleiches nicht in Dresden gelingen? Schließlich hatte sich der FCC wieder etwas gefangen, zumindest zuhause, wo man seit Anfang November unbesiegt war und in der Woche vor dem Dresden-Spiel erst Vorwärts Frankfurt mit 6:3 nach Hause schickte (nachdem es nach 47 Minuten bereits 6:0 stand) und sich anschließend im Nachholspiel gegen die 3 schwarzen und 11 weinroten BFCer mit einem 1:1 behauptete. Außerdem war Jenas Sturmlibero Schnuphase wieder ins Team zurückgekehrt und hatte in den Rückrundenspielen bereits sechsmal getroffen, nachdem lange Zeit nicht klar war, ob Schnupi infolge seiner schweren Kopfverletzung aus dem Europacup-Spiel gegen Rotterdam überhaupt je wieder spielen würde.
Nicht nur für ihn drohte die EC-Partie gegen die Holländer auf absehbare Zeit das letzte Jenaer Spiel auf internationalen Parket zu werden, denn in der Liga bestand drei Spieltage vor Schluss keine Chance mehr auf einen UEFA-Cup-Platz. Das seit Jahren per Abo verschickte Ticket für Reisen durch Europa war nur noch durch einen Jenaer Sieg im Harbig-Stadion zu lösen und genau wegen dieser „Alles oder Nichts!“-Konstellation rüstete sich der blaugelbweiße Anhang zum Sturm auf Elbflorenz, wobei extra ein Sonderzug eingesetzt wurde.
Um mit an Bord zu sein, schrieb ich mir betont schwungvoll selbst eine Entschuldigung für die Schule und rüstete mein survival package . Zu diesem gehörte auch ein Messer mit ca. 12 cm Klinge, ein sogenannter Hirschfänger, den ich für den Fall sportlich-fairer Auseinandersetzungen mit den Nunus im Rucksack verstaute, wobei anzumerken ist, dass ich dessen Klinge mit dem handwerklichen Geschick eines Intelligenzlerkindes so kunstvoll beschliffen hatte, dass sich damit nur noch mit höchstem Kraftaufwand ein paar Briefe öffnen ließen; für meine Rambo-Aura war das aber schaißegal.
Bereits am Bahnhof in Göschwitz war die Stimmung euphorisch angesichts des beachtlichen Mobs in Blau-Gelb-Weiß und nach dem Genuss der üblichen Sportgetränke ging es alsbald nur noch um die Höhe des Jenaer Sieges. Bei der Ankunft in Dresden gab es keine Zweifel mehr: Das wird unser Tag! Lautstark ging es die Bahnhofstreppen runter, wo das Singen und Grölen nicht nur im Gebäude seinen Widerhall fand sondern von draußen verstärkt zu werden schien, und tatsächlich standen dort schon mehrere Hundert Blau-Gelb-Weiße, die entweder schon früher angereist waren oder aus Sachsen und der Lausitz kamen, wo der FCC in den 70er und 80er Jahren unzählige Fans hatte. So vereint bildete sich ein kilometerlanger, nicht enden wollender Tross, ein Anblick, der nicht nur bei mir Jungspund für Gänsehaut sorgte, sondern jeden Zeissfan zu elektrisieren schien. Wer sollte diese Armada aufhalten, die gekommen war, das schwarzgelbe Eldorado zu erobern?
Erstes Hindernis war die Eingangskontrolle, vor der sich ca. 10 Meter lange Wellenbrecher in Laufrichtung befanden. Durch dieses Nadelöhr sollten sich hunderte Fans quetschen und da Fußballfans gemeinhin zu den klügsten Teilen der Gesellschaft zählen, drückte die Meute von hinten unablässig auf die Wartenden; ein Highlight für jeden Klaustrophobiker und ideale Brutstätte für den Magermodel-Wahn. Im Laufe des 10 Meter Parcours schaffte ich es zumindest, nach außen zu gelangen, wo es noch größere Mengen von Sauerstoff kam. Dort angekommen bereute ich meine Entscheidung, denn eingekeilt zwischen den Wellenbrechern und der Menge spürte ich jeden meiner Rippen- und Beckenknochen und zählte die Sekunden, bis diese irgendwann brechen würden. Das ganze spielte sich direkt ab vor den Augen der Ordnungshüter, doch keiner der Buzzilisten sah sich zum Eingreifen animiert. Es wirkte irreal, so, als wäre man mitten in einer Theatervorstellung, bei der bewusst mit den Ängsten der Anwesenden gespielt wird, aber statt Blut nur rote Farbe fließt.
Nach ewig erscheinenden Minuten war ich endlich wieder frei und gelangte mitsamt meines Mordwerkzeugs ins Stadion. Dort dann die erste Ernüchterung: Statt der von mir beim Anblick der blaugelbweißen Karawane geschätzten 10000 Zeissfans befanden sich nur ca. 2500 bis 3000 Anhänger des geilsten Fußballvereins im Block. Und um diesen Block waberte ein schwarz-gelbes Meer mit einer Urgewalt, wie ich es vorher noch nicht gesehen hatte. Jenas Anhängerschaft war von respektabler Größe, doch die vielleicht 3000 Blaugelbweißen wirkten in diesem schwarz-gelbem Ozean wie ein Floß, dass jederzeit von einer mehr als 30 000-köpfigen Flutwelle zerschmettert zu werden drohte. Und so blieb nur die vage Hoffnung, Thüringens Kicker würden mit Ihrer Leistung auf dem Platz dafür sorgen, das ausdauernde „‘Namo!“-Blöken der Nunus zum Verstummen zu bringen.
Diese Hoffnung trog: Beide Mannschaften kamen auf den Platz und was die Dresdner ihren Gästen zur Begrüßung sagten, das lässt sich nur erahnen, aber es muss irgendwas gewesen sein in der Art: „Willkommen in Elbflorenz! Schön, dass ihr da seid! Wir feiern heute ein Fußballfest und brauchen noch jemanden, den wir vernaschen können! Seid ihr dabei?“ Jenas Antwort auf dem Platz war ein lautes „JAAAA!“. Dynamo drückte den FCC von Anfang an in dessen Strafraum, hatte Chance um Chance. Keine Möglichkeit für Jena, überhaupt nur an ein Luftholen zu denken. Die Zeissfans in Schockstarre. Zumindest war die erste Viertelstunde torlos überstanden. „Wenn wir jetzt einen Konter setzen, dann kippt das Spiel!“ Schaißerchen: 21.Minute, das überfällige 1:0 für Dresden. „Hoffentlich nicht noch ein Tor vor der Pause!“ Schaißerchen, die zweite: 36. Minute, Handspiel Schnupi, Elfer, verwandelt durch Häfner. „Mensch, kämpft wenigstens! Ein Anschlusstor vor der Pause, dann geht vielleicht noch was in Hälfte zwei . . .“
Es geht nichts mehr: 45 Minute, 3:0 Dynamo. „Aus, Ende. Wo kann man hier in Ruhe sterben?!“ Die blaugelbweiße Armada ist ersoffen, die Zeissfans begreifen, dass Europa Geschichte ist und lange bleiben wird. Viele gehen bereits zur Pause. In der zweiten Hälfte schafft der FCC zumindest eine würdevolle Beerdigung, denn Dynamo schaukelt das Spiel routiniert im Leerlauf nach Hause. Die Nunus singen von „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ und halten nur noch einmal kurz inne, als der Ball kurz vorm Ende im Dresdner Netz zappelt. Burow hat einen Freistoß direkt verwandelt, doch selbst jetzt kommt kein Jubel auf, denn der Schiri hatte zuvor auf „Indirekt“ entschieden. Ohnehin ist der Jenaer Block schon halbleer, eine 90-minütige Demütigung wollten viele nicht mehr ertragen. Bei denen, die bis zum Schluss bleiben, löst sich zumindest die Fassungslosigkeit und weicht der Wut. Es steht noch die dritte Halbzeit an.
Dazu trifft sich der verbleibende Jenaer Mob auf einer kleinen Anhöhe am Ende der Lenné-Straße. Oben steht Castian, ein vierschrötiger Klopper aus Gera und sammelt einem Feldherren gleich seine Getreuen. „Sollen die Nunus nur kommen!“ Dresdens Fans gelten als mehrheitlich handzahm, nicht zu vergleichen mit den Todesschwadronen von Union oder Chemie Leipzig. Fast wie beim Phänomen der trägen Masse scheint die große Zahl ihrer Anhänger eher diejenigen schwarz-gelben Rabauken zu bremsen, die evolutionsgeschichtlich den Jägern und Sammlern nahe stehen und aufs Schal- und Fahnenzocken aus sind. Deshalb sollen ihren Fans nun büßen, damit sich der Trip nach Dresden wenigstens ein bisschen gelohnt hat.
Da ich den Kontakt zu meinem Rudel längst verloren habe, ist klar, dass ich mit auf den Hügel laufe, denn wo es auf Leben und Tod geht, darf ein Terminator meines Schlages nicht fehlen. Doch die Buzzelei durchkreuzt alle Schlachtpläne, räumt mit der Argumentationskraft ihrer Schäferhunde und Knüppel die Anhöhe und macht sich damit zum Komplizen der Fans jenes Vereins, dessen Träger sie sind. Und von denen gibt es mehr als erwartet und sie haben eine Taktik, die später von ihren Namensvettern aus Berlin perfektioniert werden sollte: Von hinten laut schreiend an den Pulk, der sich einer Herde gleich zum Bahnhof bewegt. Man hört ihr „‘Namo“-Blöken näher kommen, man merkt, wie die Nebenleute auf einmal schneller werden und keiner der erste sein will, der ganz hinten läuft, da, wo es gleich knallt. Die Angst nährt die Angst, keiner wagt es, sich gegen die Laufrichtung zu stellen. Der Fluchtinstinkt triumphiert.
Und dann sind sie da, die Nunus. Meinen Schal habe ich versteckt, mein Vordermann seinen hingegen nicht und so geht der Griff des Dresdners zu dessen Hals. „Ihr schwarzgelben Dreckschweine“, durchzuckt es mich und ehe ich nur einen Gedanken an mögliche Konsequenzen verschwende, springe ich dem Nunu ins Kreuz. Der schwarz-gelbe Schlagetod, so ungefähr zwei bis drei Meter groß, mustert mich mit ungläubigen Blick: ‚Steht ihm dort ein unbekannter Kampfzwerg exterrestrischer Herkunft gegenüber oder doch bloß jemand, der einfach nur zu häufig „Timur und sein Trupp“ gelesen hat?‘ Während der Nunu sichtlich überfordert ist, die Situation zu erfassen, grübele ich selber, wie ich aus der Sache wieder raus komme: ‚Das Messer???‘ Nein, ich entsinne mich meiner schnellen Beine als einer noch schärferen Waffe und während es in Nunus Oberstübchen noch rattert, ziehe ich mit dieser Kriegslist ungeschlagen vom Schlachtfeld und befinde mich mitten in einem blaugelbweißen Schwarm, der mit gleicher Taktik nicht minder souveräne Erfolge erstritt .
Der Rest war Slapstick: Wahrlich nicht der Langsamste, wurde ich auf meinem Weg noch von Heroen wie den Jungs vom Fanclub „Die Linde“ überholt, die es an normaler Tagen schwer hatten, unter der Coolness ihrer langen Ledermäntel überhaupt in leichten Trab zu verfallen. Jetzt erfreuten sie die umstehenden Gaffer mit verwegenen Flic Flacs über Motorhauben oder tollkühnen Bocksprüngen über die Begrenzungsgittern, mit denen sie ihrem Publikum die ganze Schönheit des Kunstturnens näher brachten. Die Performance ging im Bahnhof weiter. Ich erinnere mich noch an die blinde Verbissenheit im Gesicht eines Zeissfans, der verzweifelt die Zugtür seines Wagens zu schließen versuchte, in dem Wahn, damit sämtliche Zugangswege für die Nunus versperrt zu haben, während hinten ihm bereits die Schwarzgelben in Kohortenstärke durch die Gänge flitzten. Es war ein Fiasko durch und durch, bei dem Napoleons Rückzug seiner Grande Armee über die Beresina als wohlorganisierter Rückzug erscheint.
Nicht nur wegen dieser Begleitumstände stürzte mich dieses 0:3 in Dresden in meine erste große Sinnkrise als Zeissfan. Rückblickend war es das Ende einer Ära, einer Zeit, in der es ein Naturgesetz zu geben schien, dass Jena in der Liga stets vorne mit dabei ist und das Europapokalticket mit der Post zugesandt wird. Drei Jahre war es her, dass man ins EC-Finale eingezogen war, doch viele Helden von damals trugen nicht mehr das Jenaer Trikot, wie etwa Lutz Lindemann, Matz Vogel oder Lothar Kurbjuweit. Am Ende der Saison ging auch mein Idol Rüdiger Schnuphase und dass es ihn ausgerechnet nach Stümpersfurt zog, machte auf dramatische Art deutlich, wie schwer seine Kopfverletzung wirklich war.
Doch das Ende dieser Ära war nicht das Ende des Jenaer Fußballs. Ein halbes Jahr nach der Demontage im Harbig-Stadion standen sich der FCC und Dynamo wieder gegenüber, diesmal im Paradies. Jena war kaum besser als im Vorjahr, stand nur zwei Punkte vom ersten Abstiegsplatz entfernt und hatte seinem Anhang mit dem Pokal-Aus in Velten so richtig schön in die Fresse geschlagen. Dresden war in der Saison noch ungeschlagen und wollte mit einem Auswärtssieg die Herbstmeisterschaft erringen. Das Spiel wurde eine klare Sache: Es gab ein glattes 4:0! Nicht für die favorisierten Dresdner, sondern für den göttlichen FC Carl Zeiss, der die Sachsen mit diesem Resultat noch einmal 1988 im Pokal-Viertelfinale nach Hause schickte und zwei Jahre später auf deren eigenem Ground düpierte.
Wiederholung am Samstag erwünscht.