1975/1976 EC III 1. Spiel: FC Carl Zeiss Jena - Olympique Marseille 3:0
Spieldaten | |
Wettbewerb | EC III, 1. Runde Hinspiel |
Saison | Saison 1975/1976 |
Ansetzung | FC Carl Zeiss Jena - Olympique Marseille |
Ort | Ernst-Abbe-Sportfeld |
Zeit | Mi. 17.09.1975 20 Uhr |
Zuschauer | 22.000 |
Schiedsrichter | Hungerbühler (Schweiz) |
Ergebnis | 3:0 |
Tore |
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Aufstellungen
- Jena
- Hans-Ulrich Grapenthin
- Helmut Stein
- Gert Brauer, Konrad Weise, Ulrich Göhr
- Lothar Kurbjuweit, Harald Irmscher, Dietmar Sengewald
- Klaus Schröder, Peter Ducke, Eberhard Vogel
Trainer: Hans Meyer
- Marseille
- René Charrier
- Marius Trésor
- Roland Gransart, Victor Zwunka, Francois Bracci
- Michel Albaladejo (77. Georges Eo), Robert Buigues, Georges Bereta
- Sarr Boubacar, Hector Yazalde (62. Hervé Flores), Albert Emon
Trainer: Jules Zwunka
Spielbericht
Glanzlicht eines strahlenden Siegers: Peter Ducke!
Alle Unkenrufe dieser Art negierte der FC Carl Zeiss: Olympique Marseille, Frankreichs Vizemeister mit hochgradigen spielkulturellen Eigenschaften, wird von dem zu erwartenden Tempo- und Angriffsdruck des Gastgebers unter keinen Umständen kapitulieren! Mit ihrem selbstbewußten Auftreten vor diesem Vergleich verrieten Tresor, Bereta, Bracci und Co. ihre Absicht: Im beweglichen, sicherheitsbetonten Kombinationsfußball spüren wir unsere Chance, in Jena den Grundstein für das Vordringen in die zweite Runde zu legen. Spätestens nach 15 Minuten, als der FC Carl Zeiss nach einer durchaus verständlichen ersten Phase der inneren Unruhe seine gefürchtete Spannkraft und Vitalität ausspielte, mußte sich Olympique eingestehen, wie illusorisch dieses Vorhaben war. Nach dem Abpfiff zunächst zu keinem Wort eines kommentierenden Satzes fähig, gestand Trainer Jules Zwunka mit gebührendem Abstand zu den Geschehnissen: "Ich kann mich nicht daran erinnern, daß die Mannschaft jemals zuvor derart vom Temporhythmus überfordert wurde wie an diesem Abend!"
Um die individuellen Qualitäten des Gegners wußte Jena gleichermaßen wie um seine Perfektion in der Mittelfeldgestaltung. Bereta und Buigues, von Kurbjuweit und Irmscher in den ersten Minuten der Stabilisierung nicht immer energisch genug an die Kette gelegt, demonstrierten sie ebenso nachhaltig wie die wechselseitig nach vorn prellenden Tresor und Zwunka. Alles konzentrierte sich zunächst auf Yazalde , Olympiques überragender Stoßstürmer argentinischer Herkunft, doch das erste Warnzeichen setzte der auf Linksaußen stürmende Emon mit seinem im letzten Augenblick von Grapenthin unterbundenen Dribbling im D-Zugtempo bereits nach 180 Sekunden. "Jetzt erst recht wußten wir um die Gefahr, die Marseille dann ausstrahlt, wenn sich der Elf aus ihrer eigenen Abwehr heraus die Möglichkeit des ungehinderten Spielaufbaus bietet", urteilte Konrad Weise später zu recht. Nur einmal in der Startphase sollte ihm Yazalde entwischen - dann jedoch resignierte der hochdotierte Torjäger vor der Entschlossenheit und Einsatzbereitschaft seines Kontrahenten. Nach reichlich einstündiger Spieldauer marschierte er total erschöpft vom Feld!
Hier legte der FC Carl Zeiss in der ersten Viertelstunde, in der sich das allmählich verändernde Gleichgewicht der Kräfte noch keinesfalls klar abzeichnete, die Grundlage für den nun einsetzenden unwiderstehlichen Offensivdrang über 60 Minuten hinweg. UEFA-Beobachter Erik Hyldstrup, Generalsekretär des Dänischen Fußball-Verbandes, umriß Jenas Galavorstellung mit diesen Worten: "Ich bin glücklich, sie miterlebt zu haben. So wird Fußball zu einem wahren Erlebnis für alle!"
Als sich fuwo entschloß, bei der Titelbildauswahl in Nummer 37 auf den jungen Sengewald zurückzugreifen, berücksichtigte sie die dynamische Gangart des zuletzt sehr leistungsbeständig operierenden Mittelfeldakteurs. Er trieb Jenas Aktionen als erster mit aller Wucht und Umsicht nach vorn! Rainer Schlutter, nach bald ausgeheilter Bänderdehnung im Rückspiel sicherlich wieder fit, urteilte begeistert: "Seine kraftvolle Spielweise, mit der er Albaladejo völlig ausschaltete, zeichnete sich durch großes taktisches Geschick aus. Ließ sich Vogel in die zweite Reihe zurückfallen, schlug Sengewald mit seinen überraschenden Dribblings über die linke Flanke ein um das andere Mal Breschen in die gegnerische Deckung." Konzentriertes, gedankenschnelles Reagieren in der 33. und 34. Minute belohnte den Angriffsmut des Jenaers. Ihm galt der Beifall, doch die Sprechchöre riefen immer wieder den Namen jenes Mannes, der an der Inszenierung sämtlicher drei Treffer beteiligt war und allen Akteuren im wahrsten Sinne des Wortes die Show stahl: Peter Ducke!
Im Tenor stimmten die Meinungen überein - von DFV-Cheftrainer Georg Buschner über Jules Zwunka bis hin zum ausgefuchsten Libero Tresor, der mehr als einmal kopfschüttelnd auf die unberechenbaren Finten des Jenaers reagierte: Stärker als an diesem Abend trumpfte Ducke in seinen besten Tagen nicht auf! "Seine glänzende Form wurde in unserer taktischen Marschorder leider nur ungenügend berücksichtigt." Olympiques Trainer gestand damit ein: Zwunka wie auch Gransart, zur Attacke auf den Jenaer angesetzt, wurden regelrecht demoralisiert - und das wiederholt sogar in einem Atemzug! Zweimal Sengewald sowie Kurbjuweit, in der 46. Minute maßgerecht angespielt, waren die Nutznießer seiner gefühlvoll geschlagenen Flankenbälle. In einer sich unwahrscheinlich steigernden Jenaer Elf war Ducke, der in Marseille seinen 40. Einsatz im Europa-Cup bestreiten wird, die herausragende Erscheinung. Der FC Carl Zeiss darf sich glücklich schätzen, daß Ducke mit beispielhafter Zähigkeit den Weg zurückgefunden hat zu einem Spieler überragenden Formats!
Olympique wankte im Dauerdruck Jenas zwar, doch von einem Zusammenbruch konnte trotz der eklatanten Niederlage keine Rede sein. "Wir wußten von vornherein, daß Tresor ungeachtet aller Klassemerkmale nur mangelhafte strategische Fähigkeiten besitzt, um einer hart belasteten Abwehr Ruhe und Sicherheit einzuflößen. Der Verlauf bestätigte es." So Jenas Cheftrainer Hans Meyer, der schließlich dieses Fazit ziehen durfte.
Im überwiegend reibungslosen Spielfluß bei einem für die Franzosen direkt ernüchternd wirkenden Tempo lag Jenas eindeutiges Plus bis zu jenem Zeitpunkt nach ungefähr 75 Minuten, als der enorme Kraftverschleiß seinen natürlichen Tribut forderte. Ducke und Sengewald setzten dabei zwar die beeindruckendsten Akzente, doch darüber hinaus blieb die Leistungskontinuität über weite Strecken gewahrt: durch Grapenthin, der dreimal absolut sicher reagierte, durch Göhr, der den schlacksig wirkenden, aber eminent gefährlichen Boubakar eisenhart bekämpfte, durch Irmscher und den etwas glücklos spielenden Vogel, die den Rhythmuswechsel positiv beeinflußten, und nicht zuletzt auch durch den mit Wiederbeginn immer wieder respektlos davonziehenden Schröder. Sie sorgten für eine der eindrucksvollsten Jenaer Vorstellungen der letzten Jahre auf internationaler Ebene! DFV-Generalsekretär Günter Schneider: "Harmonie und Willensbereitschaft waren über alles Lob erhaben. Am Ende durfte Olympique mit dem Resultat sogar noch höchst zufrieden sein." In der Tat - bei vier weiteren Schüssen gegen Pfosten und Latte...
(Dieter Buchspieß in "Die Neue Fußballwoche" vom 23. September 1975)